ME/Sounds 3/93

DAVID BYRNE

Früher nannte man ihn den großen Schweiger, der nur in seinen abgehackten Staccato-Gesängen die New Yorker Stadtneurosen pflegte; und seine Schüchternheit galt fast als pathologisch. Heute kurvt David Byrne (39) im Oldtimer-Citroen durchs sonnige Los Angeles und trifft sich mit wildfremden Journalisten zum Frühstück.

Selbst beim Breakfast verbindet David Byrne amerikanische Tradition mit multikulturellen Farbtupfern. Als Treffpunkt hat er die heile Apple-Pie-Welt von Ben Frank's vorgeschlagen, einem der letzten überlebenden alten 24-Stunden-Grillrestaurants am Sunset Boulevard, dessen Angestellte auf ihren Namensschildern gleich auch noch die Herkunft verraten: Daphne aus Trinidad serviert, Manuel aus Chihuahua/Mexico räumt ab, Shorrie aus Teheran kassiert.

David Byrnes Citroen rollt mit ein paar Minuten Verspätung auf dem Parkplatz des Imbiß-Wahrzeichens ein. Der Meister sagt hello und entschwindet gleich noch mal kurz nach draußen, um sich am Automaten eine New York Times zu holen - bevor die wieder ausverkauft ist. Zumindest ein trautes Symbol der Heimat muß sein, schließlich fühlt sich David Byrne in Los Angeles noch fremder als in Europa (ein New Yorker empfindet das wirklich so).

Er bestellt sich eine Pampelmuse, Toast mit Konfitüre und einen Kaffee (Ich habe schon zuhause was gegessen), und dann geht's zur Sache. Es gibt wieder eine neue Solo-LP des Talking-Heads-Chefs (genau genommen: Ex-Talking-Heads-Chefs - siehe unten...), deren Themen wieder ganz aus Byrnes prallem Phantasien gegriffen sind: Geschlechtsumwandlungen (Now I'm Your Mom), Sex als Waffe (She's Mad), die Rückwärts-Evolution der Menschheit (Monkey Man).

Byrnes Verbalattacken sind verpackt in üppige, tanzbare Arrangements, die in Zusammenarbeit mit dem Latino-Musiker Angel Fernandez entstanden. Hat er die Musik bewußt so positiv gestaltet, um seine Zuhörer nicht zu sehr zu frustieren? David Byrne, dessen lange Pausen bei früheren Interviews weitaus legendärer waren als seine schüchternen Ausführungen, hat schnell eine Antwort parat: Ich habe dies nicht so betrachtet - aber du hast recht, ich muß dies unterbewußt getan haben. Die Dance-Rhythmen liefern ein Gegengewicht, eine ungeschriebene Message der Hoffnung inmitten all der negativen Gedanken, die in den Texten auftauchen

Die latein-amerikanischen und karibischen Einflüsse von UH-OH knüpfen an den Solo-Vorgänger REI MOMO an, für den der einstige Kritikerliebling David Byrne 1989 vor allem in den USA herbe Journalistenschelte einstecken mußte. Ein Begriff machte dabei wieder die Runde, der schon Paul Simon um die Ohren geschlagen worden war: Auch David Byrne habe kulturellen Imperialismus betrieben, als er sich für REI MOMO 20 Top-Latin-Musiker zur Hilfe nahm.

Meistens kam dieser Vorwurf von Rezensenten, die in ihrem Leben noch keine Latin-Platte gekauft oder besprochen hatten - es ist hart, von solchen Leuten Kritik anzunehmen, erklärt David Byrne. Wir Musiker wollen absolute Freiheit - wir wollen in der Lage sein zu tun, was wir wollen, zu arbeiten, mit wem wir wollen, und in unserer Musik jeden Sound oder Stil unterzubringen, den wir wollen. Dies zu untersagen, widerspricht genau dem Motiv, weswegen ich mich in dieses Busineß begeben habe

David Byrne, der schon in den 80er Jahren weitaus mehr Zeit für Projekte außerhalb der Talking Heads aufwandte und sich außerdem um seine frischgebackene Familie - Ehefrau Adelle Lutz und Töchterchen Abeni Valentine - kümmern will, scheint jetzt einen endgültigen Schlußstrich unter die 17jährige Geschichte des von ihm angeführten Quartetts zu ziehen. Als die Nachricht vom Ende der Talking Heads Anfang des Jahres um die Welt ging, traf sie Byrnes drei Mitstreiter jedoch unvorbereitet.

Oh meine Güte, was für ein Durcheinander, entfährt es David Byrne bei der Bitte um Aufklärung; und er berichtet, daß die Split-Nachricht auf einer Äußerung beruhe, die ein Journalist aus einem Interview in ganz anderer Sache herausgelöst habe. Es war also von meiner Seite keine offizielle Bekanntmachung, aber eigentlich war es überfällig. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn die anderen in der Band vorher befragt worden wären und wir zusammen etwas gesagt hätten

Der clevere Band-Chef hält sich jedoch noch ein Hintertürchen offen: Nein, er schließe nicht aus, jemals wieder mit den Talking Heads zusammenzuarbeiten; ja, auf seiner für den Juni geplanten Solo-Tournee sollen neben den aktuellen Songs auch Talking-Heads-Klassiker auf dem Programm stehen.

David Byrne blickt auf die Uhr, es ist Zeit für eine weitere Fahrt quer durch Los Angeles. Von Ben Frank's aus geht's zu einer Ballett-Akademie, in der gerade ein Trupp von Teenagern Tanzschritte für ein Video zur UH-OH-LP einstudiert. Ich wußte, daß sie das nicht rechtzeitig hinbekommen würden - sie haben mir einfach zu viel versprochen, klagt die entnervte Choreografin David Byrne ihr Leid, und der verzieht sich noch mal kurz nach draußen, um die Nachwuchs-Tänzer nicht noch mehr aus dem Konzept zu bringen.

Ich weiß noch, wie ich das Demo für 'She's Mad' aufnahm, erinnert sich David Byrne, während seine US-Single zum x-ten Mal aus dem Tanzsaal erklingt. Die Musik in meinem Mini-Heimstudio lief mit voller Lautstärke, ich rannte mit dem Mikrofon in der Hand gegen die Wände, ich schrie und geiferte. Auf dem Demo befanden sich schließlich alle möglichen Geräusche - Rülpser, Fürze und anderes, das sich in den Texte mischte. Ganz so habe ich es im richtigen Studio nicht mehr hinbekommen

Peter Jebsen

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