B.A.D. 12/92

TLC / EN VOGUE in Atlanta

Frauen-Power statt Girl Groups

2 inches or a yard rock hard or if it's saggin' / I ain't 2 proud 2 beg
TLC: "Ain't 2 Proud 2 Beg"

I can't change your mind - you can't change my color / Free your mind and the rest will follow
En Vogue: "Free Your Mind"

Wer's bei Queen Latifah und Salt'n'Pepa noch nicht begriffen hat - die starken Hip-Hop-Frauen sind im Kommen. Die nächste Generation der Funky Ladies hat es längst nicht mehr nötig, ihre Zeit mit Protesten gegen Ho- und Bitch-Stereotype zu verschwenden. Chart-Queens wie TLC und En Vogue setzen ein Zeichen, indem sie unbeirrt ihr Ding durchziehen - und sich dabei (in schwesterlicher Solidarität) ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Chart-Spitze liefern. Peter Jebsen traf die New Jills und die Funky Divas in Atlanta.

Langsam, aber sicher mausert sich die Drei-Millionen-Stadt Atlanta zur neuen amerikanischen Funk-Metropole. L.A./Babyface haben sich dort mit ihrer Hit-Fabrik niedergelassen, kurze Zeit später folgte ihnen Bobby Brown mit seinem Bosstown-Studio. Zumindest die Rhythm- & Blues-Charts hat die Atlanta-Gang schon fest im Griff - Anfang August nahm der von L.A./Babyface verantwortete Soundtrack zum Eddie-Murphy-Film Boomerang den ersten Platz der LP-Parade ein, gefolgt von den Kiddie-Rappern von Kris Kross (die in einem Supermarkt von Atlanta entdeckt wurden) auf Platz zwei und von TLC auf Platz vier (kurzfristig unterbrochen wurde die Dominanz der Südstaatler nur auf Platz drei - von En Vogue...).

Ein Besuch in den Entouch-Studios im Norden Atlantas. Tionna T-Boz Watkins, Lisa Left Eye Lopes und Rozonda Chilli Thomas - zusammen: TLC - bereiten sich gerade auf eine Tournee mit Hammer vor. Am meisten freuen sie sich auf den Start ihres Auftritts, dabei dürfen sie nämlich mit bunten Spielzeugautos auf die Bühne fahren. Logisch, daß sie die erst mal ausprobieren müssen; und deshalb nutzt das TLC-Trio - selbstverständlich im Interesse der Show - jede freie Minute, um mit den Mini-Karossen aus Plastik durch eine der Studio-Hallen zu düsen.

Sie wollen den Modetrend, den sie im Video zur ersten Single (Ain't 2 Proud 2 Beg) gestartet haben, nun auch live fortsetzen, erzählen sie kurze Zeit später hamburger-mampfend in einem der Entouch-Büros: Wir hatten keine Lust, in Stöckelschuhen und enganliegenden Kleidern aufzutreten. Wir wollten bequeme Straßenkleidung tragen - und damit sie besonders bequem ist, kauften wir sie mindestens zwei Nummern zu weit. Um sexy zu sein, muß man sich nicht aufdonnern - es ist eine Sache der Einstellung

Ein Fashion-Statement konnten sie sich denn doch nicht verkneifen: An jeder sich bietenden Stelle (zum Beispiel unter Left Eyes linkem Brillenglas) tragen TLC Kondome. Ihre Anti-Tabu-Message (Wir propagieren nicht Sex - sondern: wenn Sex, dann Safe Sex) brachte ihnen ein bißchen Kritik von den üblichen Kandidaten, ansonsten aber Zustimmung auf breitester Front ein - selbst Chillis Mutter, die zunächst leise Zweifel hegte, wurde schließlich durch den Radiokommentar einer DJ-Dame überzeugt, die TLCs verspielten Umgang mit Amerikas Tabu-Thema Nummer eins (S*x) für wirksamer hält als offizielle Safe-Sex-Kampagnen.

Am smarten Pop-Funk und den selbstbewußten Texten ihres Debüt-Albums waren die New Jills (Atlantas Antwort auf den New Jack Swing) nicht beteiligt, nur Left Eye schrieb all ihre Raps selbst. Nachdem die Produzenten uns kennenlernten, müssen sie einen ziemlich korrekten Eindruck von uns erhalten haben - denn die Texte drücken unsere Einstellungen sehr gut aus, erklären die Drei, die sich von ihrem Erfolg auch erhoffen, daß sie sich besseres Heim-Equipment leisten können - wir schreiben alle selbst Songs, die wir allerdings beim ersten Mal so amateurhaft aufnahmen, daß unsere Demos mit den Angeboten der Produzenten nicht konkurrieren konnten

Der Vollständigkeit halber legen die T-Boz, Left Eye und Chilli angesichts ihrer Single Ain't 2 Proud 2 Beg Wert auf die Feststellung, daß sie selbst noch nie als Bittstellerinnen auftreten mußten (ganz im Gegenteil: Wir haben jede Menge männliche Groupies, die uns überallhin mit dem Auto verfolgen und uns ständig ihre Telefonnummern zustecken); dennoch würden sie hinter dem Song stehen, da er eigentlich nur fordere, Bedürfnisse jeder Art offen auszudrücken.

Und dann rufen wieder die TLC-Mobile, während die Musiker im Probenstudio däumchendrehend darauf warten, daß ihre Frontfrauen zur Arbeit antreten.

Szenenwechsel. Ein paar Stunden vor dem TLC-Date ist im schnieken Marriott-Airport-Hotel ein Interview mit En Vogue angesagt. Hamburger sind für sie mega-out, wegen der Linie müssen als Lunch ein paar Happen Fruchtsalat reichen. En Vogue fahren ein Kontrastprogramm zu TLC - sorgsamst ausgesuchte Sexy-Garderobe statt sackartiger Multicolor-Gewänder. Da sie all ihre Outfits nur einmal in der Öffentlichkeit tragen, haben sie mittlerweile eine Stylistin eingestellt (Unseren Look so wie früher selbst zu gestalten, wurde im Lauf der Zeit einfach zu zeitraubend). Dennoch stehen sie auf TLC: Ein starkes Konzept Es zeigt, daß man sexy sein kann, ohne viel nackte Haut zu zeigen.

En Vogue sind nur Gast in Atlanta. Sie stammen aus der kalifornischen Funk-Metropole Oakland, die einst Acts wie Sly And The Family Stone, Graham Central Station und Tower Of Power hervorbrachte. Zur aktuellen Funk-Fraktion von Oakland zählen Digital Underground plus Ableger, Tony Toni Toné - und En Vogues Produzenten-Team Denzil Foster/Thomas McElroy, das im vergangenen Jahr auf der Debüt-CD der Nation Funktasia P.Funk für die 90er Jahre clonte.

Ursprünglich waren En Vogue nur ein Reißbrett-Konzept. Foster/McElroy wollten Ende der 80er Jahre vom wiederauflebenden Girl-Group-Boom profitieren und luden interessierte Damen zum Gesangstest ein. Eigentlich hatte Denny und Tommy ein Trio vorgeschwebt - doch am Ende behielten sie uns vier, weil wir so hervorragend zusammenpaßten, berichten die Soul-Ladies, zwischen denen es von Anfang an klickte - obwohl sie sich erst am Tag des Vorsingens kennengelernt hatten: Cindy Herron (27) aus San Francisco, Ex-Miß Black California, Marathon-Joggerin und die En-Vogue-Mitstreiterin mit den größten Film-Ambitionen (sie schauspielerte schon mit 11 Jahren und übernahm zuletzt eine Nebenrolle in Juice), Terry Ellis (24) aus Houston, die einerseits wegen ihrer Bedenken gegen allzu offenherzige Bühnenkostüme von ihren Kolleginnen The Nun (die Nonne) genannt wird, andererseits aber auch häufig den Gruppen-Clown abgibt, Maxine Jones (25) aus New Jersey, Fitneß-Fanatikerin und launischste En-Vogue-Dame (Spitzname: Troll), und Dawn Robinson (23) aus Connecticut, die neben ihrer Gesangskarriere auch noch Unterricht in Ballett, Step- und klassischem Tanz nimmt und für den Fall blessierter Stimmen stets Gurgel-Elixiere wie Honig mit Pfeffer, Apfelwein-Essig oder Pfefferminzöl mit sich herumträgt.

Gleich zu Beginn hatten die Vier festgestellt, daß sie nicht nur stimmlich aufs Vortrefflichste harmonierten, sondern auch die gleichen musikalischen Vorbilder teilten - als da wären: Natalie Cole, Nancy Wilson, Gladys Knight, Wilson Pickett, Aretha Franklin und Chaka Khan... Keine Gesangs-Gruppen? Nein, wir hatten alle eigentlich vor, solo Karriere zu machen - aber mit En Vogue klappt es so gut, daß wir zusammenbleiben werden

Cindy Herron nennt dann doch noch zwei Formationen, die sie in ihrer Jugend beeinflußt haben - die Osmond Brothers und die Carpenters. Wie bitte? Diese Musik hörte ich, als ich noch bei meiner Mutter wohnte. In der Gitarrenklasse meiner Schule guckte man mich immer als Sängerin aus - ich mußte Stücke wie 'I'm Sitting On The Top Of The World' singen. Das war starke Pop-Musik Cindys Kolleginnen lachen, nicken aber zustimmend; und Dawn fällt ein, daß sie früher - wie Cindy - auch auf Olivia Newton-John stand...

Schon ihre erste Tournee im Frühjahr 1990 bewies, daß ihre brillanten Harmonie-Gesänge sind kein Produkt ausgeklügelter Studiotechnik sind - these girls can sing for real Im Universal Amphitheater in Burbank beispielsweise, wo sie als Vorgruppe von Freddie Jackson auftraten, konnten En Vogue - die in knapp 30 Minuten nur einen kleinen, aber heftigen Eindruck von ihren Fähigkeiten geben konnten - sogar einen Punktsieg über den klinisch perfekt, aber etwas zu belanglos dahincroonenden Star der Show verbuchen.

Zwei Jahre später in Atlanta sind sie vom Nachwuchs-Quartett längst zum etablierten Pop-Act aufgestiegen, zu dem sich auch Funk-Fans und Soul-Liebhaber (der flexibleren Art) ohne Gewissensbisse bekennen können. Geteilte Meinungen gibt es nur über einen Rocker von der zweiten LP Funky Divas: Free Your Mind (weder verwandt noch verschwägert mit Funkadelics Free Your Mind And Your Ass Will Follow), En Vogues gemeinsamer Lieblings-Song, in dem sie gegen Vorurteile jeder Art ansingen.

Es passiert selbst heute noch in manchen Kaufhäusern oder Boutiquen, erinnert sich Maxine, daß mir ständig Verkäuferinnen hinterherlaufen, weil sie Angst haben, ich könnte etwas klauen. Ich ertappe mich dabei, daß ich beim Bezahlen - wenn ich nicht schon vorher frustriert abgehauen bin - mehr Geld heraushole, als ich wirklich brauche, um ihnen zu zeigen, daß ich es nicht nötig habe zu stehlen Wenn sie dann natürlich mitbekommen, daß ich zu En Vogue gehöre, werden sie plötzlich extrem freundlichen und wollen Autogramme... Allgemeines Gelächter - Terry, Cindy und Dawn haben ähnliche Erfahrungen gemacht.

Maxine fährt fort: Selbst in meinem Apartmentgebäude kommt es vor, daß die Leute aufstehen und weggehen, wenn ich mich am Swimming Pool niederlasse. Mittlerweile gefällt mir das - dadurch habe ich in den seltenen Momenten, in denen ich zuhause bin, wenigstens meine Ruhe

Selbst unter Freunden bleibt man nicht verschont - Dawn erzählt von einem ein paar Tage zurückliegenden Auftritt in San Francisco: Ich stand mit ein paar weißen Freunden herum, und wir hatten viel Spaß miteinander - dafür erntete ich wiederum von manchen schwarzen Bekannten böse Blicke. Das erinnerte mich an meine High-School-Zeiten; damals wurde ich auch blöd angeschaut, wenn ich mit den 'falschen Leuten' herumhing oder gar einen weißen Boyfriend hatte. Das macht mich immer noch sauer

Peter Jebsen

< Zurück / Janet Jackson / Chris Isaak / David Byrne (Ex-Talking Heads) / En Vogue / TLC / John Lee Hooker / Lenny Kravitz / Phil Collins (Interview / Reportage) / Tom Jones / Terence Trent D'Arby / Udo Lindenberg

Die auf dieser Site veröffentlichten Texte sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverbreitung jeglicher Art (Print, Funk, Online etc.) ist ausnahmslos nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Fragen Sie einfach per eMail nach.