Wiener 12/93

UDO LINDENBERG

Müder Sprücheklopfer oder Übervater der deutschsprachigen Rockmusik? An Udo Lindenberg (47) scheiden sich die Geister - was den Meister selbst kalt läßt: Manchmal verkaufen wir eben drei Platten weniger, und dann auch mal wieder drei Millionen mehr, nuschelt er und schlurft weiterhin im jährlichen Abstand ins Studio. Das jüngste Resultat, das Album Benjamin, ist erfreulich frisch geraten...

WIENER: Du hast bei Interviews gewisse wiederkehrende Sprüche drauf. Inwieweit könntest du Interviews per Autopilot machen; mußt du noch nachdenken, wenn du redest?

Udo Lindenberg: (lacht) Ja, schon. Es ist ja auch langweilig, wenn ich immer nur Sprüche ablasse. Klar, es kommen natürlich auch ständig die gleichen Fragen - daß zum Beispiel die Menschen sagen: Sie sind ein so gutaussehender, vertrauenserweckender Mensch - charmant, locker, leicht, bekömmlich. Es wäre doch wirklich abgrundtief traurig, wenn Sie nicht irgendwann mal Kinder hätten Und dann laß' ich halt die Sprüche mit den Lindenzwergen los...

WIENER: Du kommst jenseits der Bühne meist cool und relaxed daher. In welchen Momenten kannst du ausklinken?

Udo Lindenberg: Wenn Menschen, die ich sehr mag oder gar meine Freunde nenne, nicht geradeaus mit mir umgehen. Wenn sie mich belügen, flipp' ich aus

WIENER: Wieviel Leute hast du in deinem Freundeskreis, die du nicht als Ja-Sager bezeichnen würdest?

Udo Lindenberg: In meinem engen Umfeld sind es etwa zehn Freundinnen und Freunde, wo ich mir total sicher bin, daß sie mir nicht irgendwelchen Schmonzes erzählen. Aber auch im Sympathisantenkreis gibt es viele, die mir schreiben oder die mich anrufen; was ja auch geht, da ich im Hotel wohne und für jeden erreichbar bin.

WIENER: Gibt es in deiner Karriere Perioden, an die du dich wegen des Konsums gewisser Erfrischungsgetränke nicht mehr so erinnern kannst?

Udo Lindenberg: Blackouts hatte ich nicht, aber reichliche Ballerzeiten gab es schon. Ich trinke immer noch ab und zu ganz gerne, und auch gar nicht so wenig; dann aber auch mal wieder monatelang überhaupt gar nichts. Das gibt's auch. So'n bißchen gibt's bei mir nicht, denn ich neige grundsätzlich eher zum Exzeß.

WIENER: Haben die früheren medizinischen Ausfallzeiten deine Einstellung zum Leben verändert?

Udo Lindenberg: Ich hatte vor fünf Jahren so'n Warnschuß an mein Herz. Ich habe hundert Zigaretten geraucht, sehr viel gesoffen und ganz wenig geschlafen - nach dem Motto: Wo lassen sie schlafen? Seit meinem Zusammenbruch rauche ich nur noch tabak- und nikotinfreie Zigaretten, ich saufe weniger und mache auch sehr viel Sport. Im Moment fühle ich mich sehr fit

WIENER: Machst du dir Gedanken über deinen Abgang?

Udo Lindenberg: Ich stelle mir vor, auf der Bühne irgendwann in einem totalen Sound-Exzeß die Vollendete dann doch zu spielen und in den Graben mit dem Streichorchester zu fallen, um nach ein paar Sekunden wieder aufzuerstehen und durch den Hauptausgang sternenwärts zu entschweben. Oder in den Armen einer schönen Frau - oder auch eines schönen Mannes.

WIENER: Das Stichwort Männerliebe taucht bei dir häufiger auf - inwieweit ist dies autobiografisch?

Udo Lindenberg: Ich finde Liebe zwischen den Menschen prima, unabhängig von dem Spielzeug, das man gerade in der Hose hat. Bei mir ist es zufälligerweise so, daß ich sexuell mit Frauen sehr gut klarkomm' und mich mit Männern noch nicht so richtig auskenne. Ich bin halt noch ein junger Mensch. Aber ich finde, in den Zeiten von Schwulenhetze muß man die plumpen, dummen Spießersprüche immer wieder etwas bremsen. Ich bin bilateral drauf, und ich habe ein paar männliche Menschen auch sehr lieb.

Peter Jebsen

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