Wiener 12/92

Der Altmeister

Er dürfte der älteste Poster-Boy der Jeans-Reklame sein: John Lee Hooker, Beruf: Blues-Denkmal.

Wie alt er genau ist, darüber streiten sich die Musikhistoriker. John Lee Hooker ist selbst dran schuld - als Teenager fälschte er seine Papiere und machte sich drei Jahre älter (Geburtsjahr 1917 statt 1920), um in die Armee aufgenommen werden zu können. Der Grund war stichhaltig: Mir ist damals immer meine Freundin weggelaufen, wenn Soldaten in der Stadt waren. Mit Uniform konntest Du damals jedes Mädchen kriegen, berichtet der Blues-Senior im Wohnzimmer seines Bungalows in der kalifornischen Kleinstadt Redwood City.

Daß er sich der Öffentlichkeit stellt, hat Seltenheitswert. John Lee Hooker, der im vergangenen Jahr offiziell seinen Ruhestand ankündigte, verbringt heutzutage die meiste Zeit in seinem Schlafzimmer. Eingeweihte nennen es Dungeon (= Kerker). Er sitzt einfach nur da, kichert, ißt sein chinesisches Essen und sieht im Bett in seinem schwarzen Seiden-Pyjama fern, während er mit minderjährigen weißen Mädchen am Telefon quatscht, berichtete unlängst Hooker-Fan Ry Cooder mit gewisser Bewunderung.

Ab und zu verläßt John Lee Hooker sein Refugium für Interviews - und für Schallplatten-Aufnahmen. Ich muß den Leuten zeigen, daß ich immer noch lebe, erläutert der Blues-Pensionär den Hintergedanken seiner jüngsten LP Boom Boom, deren Titelsong - ein neu eingespielter Hooker-Oldie - den Soundtrack eines Jeans-Werbespots abgibt (auch wenn sich John Lee Hooker selbst nur mit Anzug und Hut sehen läßt).

Allzu große Geduld hat der Meister im Plattenstudio nicht mehr. Wenn eine Aufnahme länger als eine oder anderthalb Stunden dauert, werde ich nervös Auf Boom Boom hört man das: Bei Titeln wie Same Old Blues und Trick Bag (Shoppin' For My Tombstone) bedankt sich der Boß mitten im Song bei seinen Musikern, damit sie langsam zum Schluß kommen.

John Lee Hooker, der schon in den 50er Jahren seinen ersten Millionen-Seller schaffte, muß sich selbst und seinem Publikum längst nichts mehr beweisen. Wer ohne Vorbereitung ins Studio gehen kann und nach anderthalb Stunden mir vier, fünf Songs herauskommt, muß über ein gewisses Genie verfügen, lautet die Selbsterkenntnis des lebenden Blues-Buddhas (Cooder über Hooker). Noch immer gelingt es ihm dabei, aus einem einzigen Seufzer, einem dahingerotzten Gitarren-Lick mehr Blues sprechen zu lassen als es manch jungem Blues-Wunderkind in der gesamten Karriere gelingen wird...

Peter Jebsen

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