Playboy 11/93

PHIL COLLINS:

Workaholic und Watschenmann

Mr. Nice Guy auf dem Ego-Trip? Rock-Millionär Phil Collins, als Genesis-Mitstreiter und Clapton-Produzent hochkarätige Begleitung gewohnt, hat sein jüngstes Solo-Werk im Alleingang bei sich zuhause eingespielt.

Nur ein verborgenes Schildchen verkündet, was sich hinter der unauffälligen Einfahrt an einer Landstraße im englischen West Sussex verbirgt: die Fisher Lane Farm - das 50 Hektar große Refugium von Phil Collins. Das mehrere Millionen Mark teure Anwesen, auf dem sich unter anderem ein zweistöckiges Landhaus aus dem 19. Jahrhundert, ein High-Tech-Tonstudio und ausgedehnte Felder befinden, hat sich der 42jährige Workaholic in diversen Parallelkarrieren erarbeitet - als ein Drittel des Geldesels Genesis, als Solist, Produzent, Miet-Drummer und Filmschauspieler.

Trotz allen kommerziellen (und privaten) Segens fehlt ihm eins zum vollendeten Glück: Respekt. Für die Berufs-Zyniker der britischen Presse ist Phil Collins einer der bevorzugten Watschenmänner; und selbst ein Musiker-Kollege wie Ray Davies von den Kinks beschrieb ihn mal als geldgierigen Workaholic, der bei Schlagzeugaufnahmen zwischen den Beats stets auf die Edel-Rolex schaue, um ja nicht seinen nächsten lukrativen Job zu verpassen...

"Wenn die Leute mich kritisieren, weil sie meine Musik nicht mögen, lautet meine Antwort ganz einfach: 'Fuck them!'", verkündet Phil Collins beim Interview im gemütlichen Wohnzimmer. Was ihn wirklich stört, sind Zweifel an seinen Motiven: "In der englischen Presse wird oft die Frage: gestellt 'Warum zählt er nicht sein Geld und haut ab?' Aber das ist es nicht, worum es mir geht! Ich bin kein Geschäftsmann, der noch eine Menge mehr Geld verdienen will. Ich habe genug davon - ich hätte mich schon im Jahr 1985 zur Ruhe setzen können, wenn ich das gewollt hätte!"

Auch heute noch, so erklärt er, sei das Songschreiben für ihn nicht nur Beruf, sondern auch Hobby (neben der Modelleisenbahn seines Sohnes). "Ich arbeite nun mal nicht in einer Bank oder in einem Laden, wovon ich an den Wochenenden entfliehen müßte," stellt er klar. Daß dies nicht nur leere Lippenbekenntnisse sind, davon kündet das auch in seinen Privatgemächern aufgebaute Musik-Equipment...

Durch die Produktionsweise seines neuen Albums Both Sides, das zum Teil zu Hause mit einem eher primitiven Demo-Recorder entstand (und nicht einen kurzen Fußweg weiter in der 48-Spur-Soundschmiede) lieferte Phil Collins seinen Kritikern selbst Munition für neue Vorwürfe ( "Der Rock-Star auf dem Ego-Trip!"): Phils Jüngste ist nämlich ein echtes Solo-Werk, auf dem der Musiker zum ersten Mal alle Instrumente selbst spielt.

"Natürlich hätte ich Leute wie Eric Clapton herbeiholen können, die sicherlich schöne Passagen beigesteuert hätten. Aber auf dieser LP sind die Songs extrem persönlich geraten; und ich wollte die Gefahr vermeiden, daß durch die Beteiligung anderer das ursprüngliche Gefühl verwässert wird," erklärt Phil Collins, dessen Texte zwar keine Konkurrenz zu Rock-Poeten vom Schlage eines Billy Joel darstellen, aber dennoch - anknüpfend an Another Day In Paradise - mehr als nur die üblichen Pop-Konfektionsreime bieten.

Phil Collins strahlt Bescheidenheit aus, die bei ihm jedoch nicht aufgesetzt wirkt. Man nimmt es ihm ab, wenn er betont, daß er selbst noch sporadisch Fan-Gefühle verspürt. Zum Beispiel bei Freund "Slowhand": "Obwohl ich ihn schon seit 1978 kenne, denke ich mir bei unseren Begegnungen immer noch: 'Das ist Clapton! Das ist der Typ, von dem ich früher Souvenirs und Platten sammelte! Und jetzt spiele ich Schlagzeug hinter ihm...' Man kneift sich und fragt sich: 'Bin das wirklich ich?'"

Und Phil Collins gibt mit einem verlegenen Lächeln zu, daß er manche seiner Idole noch heute um Autogramme bittet - in seinem Star-Album befinden sich die Unterschriften von Größen wie dem Crooner Tony Bennett, dem "Soul Man" Sam (von Sam & Dave) und Audrey Hepburn. Daher hat Collins meist Verständnis für diejenigen seiner Fans, die zur (unbewachten) Fisher Lane Farm pilgern und plötzlich vorm Wohnzimmerfenster stehen. Auf keinen Fall stören darf man ihn jedoch an einem Ort, der ihm noch heiliger ist: im Dorf-Pub, in dem er ein-, zweimal pro Woche mit lokalen Kumpeln Gerstengetränke einnimmt.

Neben dem ewigen "Mr. Nice Guy"-Image, das er mit fiesen Film-Rollen zu konterkarieren versucht, nervt ihn noch ein weiteres Vorurteil: "Ich kann natürlich nichts dagegen machen, wenn die Leute meine Musik als 'Mainstream' sehen; das ist schließlich ihre Meinung. Ich selbst sehe es natürlich nicht so - weil ich keine 'Middle-of-the-Road'-Musik mag! Mich interessieren nur Dinge, die anders oder originell sind... und wenn ich mich selbst nicht für anders oder für originell hielte, dann würde ich wahrscheinlich meinen Stil ändern."

Mit Collins als Frontmann überrascht selbst das alte Schlachtroß Genesis ab und zu noch mal mit Originalität - die TV-Prediger-Satire Jesus He Knows Me beispielsweise bewies angesichts des weitverbreiteten Puritanismus in den USA (immerhin der Hauptmarkt des Dinosaurier-Trios) eine gewisse Risikofreude...

Im Moment jedoch bedeutet ihm Genesis "rein gar nichts": "Du mußt dir vor Augen halten, daß ich gerade eine Produktion beendet habe, die das Persönlichste ist, das ich je gemacht habe - und das damit verbundene Hochgefühl wird wohl noch eine Weile anhalten." Was auch nötig sein wird, denn das Arbeitstier Phil Collins befindet sich wieder inmitten des gewohnten Zyklus, der auf vollen Touren läuft: Solo-Produktion, Promotion-Hetze per Concorde und eine anschließende Konzert-Tour um die Welt. Wenn dann noch der zu erwartende nächste Film mit dem Schauspieler Phil Collins abgedreht ist, dürfte wieder Genesis an der Reihe sein. - Ende offen!

Peter Jebsen

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