ME/Sounds 5/93

JANET JACKSON

Eine Foto-Session in Minneapolis - in den Ausmaßen eines Staatsakts. Austragungsort ist kein alltägliches Fotostudio, eher eine kleine Fabrikhalle, in der Visagisten, Mode-Berater, Kamera-Assistenten und Publizisten herumwuseln. Die Haupt-Akteurin steht regungslos im Kegel eines Spot-Scheinwerfers an der Wand und läßt geduldig die hundertste Makeup-Korrektur des Tages über sich ergehen. Heute gibt sie sich ganz in schwarz: schwarzer Lippenstift, glattfrisierte schwarze Haare und ein hautenger schwarzer Luxus-Dreß.

Zusammen mit dem englischen Kamera-Künstler Matthew Rolston, den sie sich selbst ausgeguckt hat, inszeniert Janet Jackson eine Hommage an zwei starke Frauen: die Schauspielerinnen Dorothy Dandridge (einer der ersten schwarzen Hollywood-Stars) und Marlene Dietrich. An die deutsche Diva erinnert ein geöffneter, auf dem Kantinen-Tisch liegender Bildband, in dem Matthew & Janet ihre Lieblingsmotive markiert haben.

Janet Jackson als Vamp - dies ist das Image, mit dem der Twen in die nächste Karriere-Runde geht. Aus CONTROL (1986) sprach einst der selbstbewußte Teenager, der sich weitaus entschiedener als Bruder Michael aus den Klauen des Familien-Klans befreit hatte; auf RHYTHM NATION (1989) propagierte sie noch höhere Werte: Hoffnung, Humanität und - besonders für denkfaule Kids - Bildung.

1993 geht es vor allem um sie selbst und um ihr Liebesleben. Der Album-Titel ist Programm: janet. Punkt... Das neue Album ist sehr viel wärmer, sehr sinnlich, sexy und sehr frech, erzählt Janet Jackson in der Mini-Garderobe des Fotostudios, während sie als Lunch eine Spatzenportion Hühnchen verspeist. So fühle ich mich an diesem Punkt meines Lebens - und das drücke ich aus

Im Flyte-Tyme-Studio zu Minneapolis stand ihr auch diesmal wieder das bewährte Platin-Duo Jimmy Jam und Terry Lewis zur Seite. Die beiden scheinen in Janet Jackson ihre ganz spezielle Muse gefunden zu haben - obwohl Jam/Lewis schon mit Vertretern mächtigerer Vokal-Artistik zusammenarbeiteten, laufen sie bei ihren Projekten mit Janet jedesmal zu persönlicher Bestform in Sachen Grooves & Sounds auf.

Zum Zeitpunkt der Foto-Session sind die Songs des neuen janet.-Albums noch ein strenggehütetes Geheimnis, doch ihr Boyfriend René hat keine Bedenken, vertrauenswürdige Menschen mal kurz an seinem Walkman-Kopfhörer lauschen zu lassen. janet. ist kein erneuter Aufguß bewährter Janet Jam-Lewis-Methoden - die beiden Flyte-Tyme-Zampanos haben zusammen mit Janet (die zum ersten Mal als gleichberechtigte Produzentin auftrat) frische Klänge für die 90er Jahre fabriziert. Mit zusätzlicher hochkarätiger Verstärkung: Am Titel What'll I Do waren Gospel-Röhren der Sounds of Blackness beteiligt (ein schwarzer Super-Chor, mit dessen Debüt-Album Jimmy Jam und Terry Lewis 1991 ihr Label Perspective Records ins Leben gerufen hatten), für den afrozentrischen Message-Song New Agenda lud Janet Jackson den Public Enemy Chuck D. ins Studio.

Janet steht auf Rap - und sie schreibt Public Enemy & Co. sogar eine erzieherische Wirkung zu. Die Rapper, so meint sie, seien eine wichtige Informationsquelle für schwarze US-Jugendliche: In meiner Schulzeit wurde die Geschichte der Schwarzen kaum erwähnt - es gab im Geschichtsbuch vielleicht zwei Absätze über Martin Luther King und einen Absatz über Malcolm X, und ein bißchen über Sklaverei. Ich dachte daher, daß meine Vorfahren allesamt Sklaven waren Das ist traurig, weil unsere Geschichte tiefer geht - auf 'unserem' Kontinent waren wir auch Könige und Königinnen...

Und Janet Jackson schlägt in die gleiche Kerbe wie ihre Rap-Kollegen: Wenn man als Kind in dem Glauben aufwächst, daß man von nichts als Sklaven abstammt, und dann sieht, wie die Errungenschaften der 60er Jahre langsam wieder zunichte gemacht werden, dann kann man nur mit gesenktem Kopf herumlaufen

Einsichten, die sie in diesem Jahr auch an der Film-Front vertreten wird - im neuen Streifen des Boyz 'N The Hood-Regisseurs John Singleton, Poetic Justice, spielt sie eine Dichterin, die langsam, aber sicher zu ihrer eigenen Ausdrucksform findet. Parallelen zum eigenen Leben sind nicht ausgeschlossen - erst heutzutage zum Beispiel, so erzählt sie, komme sie zum Ausleben ihrer Kindheit: Vieles von dem, was normale Kids tun, konnte ich nicht mitmachen, weil ich zu beschäftigt war - ich habe schließlich schon mit sieben Jahren im Show-Busineß begonnen

Damals trat sie bei den Konzerten der Jackson Five als Zwischen-Gag auf, gefolgt von Schauspiel-Rollen in diversen Fernsehserien (unter anderem Fame). Ihre Plattenkarriere startete sie erst relativ spät (als Teenager) - mit dem '82er Album DREAM STREET. 1986 kam mit CONTROL der große Durchbruch, und mit RHYTHM NATION 1814 brach sie schließlich einen Rekord, den zuvor Bruder Michael und Bruce Springsteen gemeinsam gehalten hatten: Janet war die erste Künstlerin, die sieben Single-Auskopplungen von einem einzigen Album in den Top Five der US-Pop-Charts plazieren konnte.

Durch ihren neuen Deal mit Virgin Records, der eine höhere zweistellige Millionen-Summe wert sein soll, katapultierte sie sich endgültig in die stellare Michael + Madonna-Kategorie. Der Wettkampf um die millionenträchtigen Chart-Plätze habe jedoch keine Auswirkungen auf die Beziehung zu ihrem Bruder: Nein, wir reden nicht mal drüber, erklärt sie, und sie schiebt ein galantes Understatement hinterher: Das Geld ist nicht das Wichtigste im Leben, obwohl es auch nicht schlecht ist. Ich bin sehr glücklich darüber, was ich habe - und ich finde, daß ich es verdiene Viele Leute denken, Entertainer wie ich verdienen zu viel Geld - sie müssen jedoch verstehen, daß die Plattenfirmen den vier- oder fünffachen den Betrag davon verdienen, was sie dir geben...

Peter Jebsen

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